wie konntest Du nur

Text aus: Jim Willis, "Die leise Stimme der Seele", ISBN 3-905319-33-0,
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Der Text darf weiterhin von mir verwendet werden. Erlaubnis liegt mir vor! mama-tempo 27.03.2007

Als ich noch ein Welpe war, unterhielt ich dich mit meinen Possen und brachte dich zum Lachen. Du nanntest mich dein Kind, und trotz einer Anzahl zerkauter Schuhe und so manchem verstümmelten Sofakissen wurde ich dein bester Freund. Immer wenn ich »böse« war, erhobst du deinen Finger und fragtest mich: »Wie konntest du nur?« Aber dann gabst du nach und drehtest mich auf den Rücken, um mir den Bauch zu kraulen.

Mit meiner Stubenreinheit dauerte es ein bisschen länger als erwartet, denn du warst furchtbar beschäftigt; aber zusammen bekamen wir das in den Griff. Ich erinnere mich an jene Nächte, in denen ich mich im Bett an dich kuschelte, du mir Deine Geheimnisse und Träume anvertrautest und ich glaubte, das Leben könnte nicht schöner sein. Gemeinsam machten wir lange Spaziergänge im Park, drehten Runden mit dem Auto und holten uns Eis; ich bekam immer nur die Waffel, denn »Eiskrem ist schlecht für Hunde«, sagtest du. Und ich döste stundenlang in der Sonne, während ich auf deine abendliche Rückkehr wartete.
Allmählich fingst du an, mehr Zeit mit deiner Arbeit und deiner Karriere zu verbringen – und auch damit, dir einen menschlichen Gefährten zu suchen. Ich wartete geduldig auf dich, tröstete dich über Liebeskummer und Enttäuschungen hinweg, tadelte dich niemals wegen schlechter Entscheidungen und überschlug mich vor Freude, wenn du heimkamst, und auch, als du dich verliebtest. Sie, jetzt deine Frau, ist kein »Hundemensch« – trotzdem hieß ich sie in unserem Heim willkommen, versuchte, ihr meine Zuneigung zu zeigen, und gehorchte ihr. Ich war glücklich, weil du glücklich warst.

Dann kamen die Menschenbabys, und ich teilte deine Aufregung darüber. Ich war fasziniert von ihrer rosa Haut und ihrem Geruch und wollte sie auch bemuttern. Nur dass du und deine Frau Angst hattet, ich könnte ihnen wehtun. So verbrachte ich die meiste Zeit verbannt in einem anderen Zimmer oder in meiner Hütte. Oh, wie sehr wollte auch ich die Kleinen lieben! Doch ich war ein »Gefangener der Liebe«.

Als sie heranwuchsen, wurde ich ihr Freund. Sie krallten sich in meinem Fell fest, zogen sich auf wackeligen Beinchen daran hoch, pieksten ihre Finger in meine Augen, inspizierten meine Ohren und gaben mir Küsse auf die Nase. Ich liebte alles an ihnen, liebte ihre Berührung, denn deine Berührungen waren selten geworden. Ich hätte die Kinder mit meinem Leben verteidigt, wenn es nötig gewesen wäre.

Ich kroch heimlich in ihre Betten, hörte ihren Sorgen und Träumen zu, und gemeinsam warteten wir auf das Geräusch deines Wagens in der Auffahrt. Es gab einmal eine Zeit, da zogst du auf die Frage, ob du einen Hund hättest, mein Foto aus der Brieftasche und erzähltest Geschichten über mich. In den letzten Jahren hast du nur noch mit »Ja« geantwortet und schnell das Thema gewechselt. Ich hatte mich von »deinem Hund« in »einen Hund« verwandelt, und jede Ausgabe für mich wurde dir zum Dorn im Auge.
Jetzt hast du neue Berufsaussichten in einer anderen Stadt, und ihr werdet in eine Wohnung ziehen, in der Haustiere nicht gestattet sind. Du hast die richtige Wahl für »deine« Familie getroffen – aber es gab einmal eine Zeit, da war ich deine einzige Familie.

Ich freute mich über die Autofahrt, bis wir am Tierheim ankamen. Es roch nach Hunden und Katzen, nach Angst und Hoffnungslosigkeit. Du fülltest die Formulare aus und sagtest: »Ich weiß, Sie werden ein gutes Zuhause für ihn finden.« Sie zuckten mit den Schultern und warfen dir einen gequälten Blick zu. Sie wissen, was einen Hund oder eine Katze »in mittleren Jahren« erwartet, auch wenn sie einen Stammbaum haben. Du musstest deinem Sohn jeden Finger einzeln vom Halsband lösen, als er schrie: »Nein, Papa! Bitte! Sie dürfen mir meinen Hund nicht wegnehmen!« Und ich machte mir Sorgen um ihn und um die Lektionen, die du ihm gerade beibrachtest – über Freundschaft und Loyalität, über Liebe und Verantwortung, über Respekt vor allem Leben. Zum Abschied hast du mir den Kopf getätschelt, den Blick in meine Augen gemieden und höflich auf das Halsband und die Leine verzichtet. Du hattest einen Termin einzuhalten – und nun habe ich auch einen.

Nachdem du fort warst, sagten die beiden netten Damen, du hättest wahrscheinlich schon seit Monaten von dem bevorstehenden Umzug gewusst und nichts unternommen, um ein gutes Zuhause für mich zu finden. Sie schüttelten den Kopf und dachten bei sich: »Wie konntest du nur?«

Hier im Tierheim kümmern sie sich um uns, so gut es eben geht. Natürlich werden wir gefüttert, aber ich habe meinen Appetit schon vor Tagen verloren. Anfangs rannte ich immer vor ans Gitter, sobald jemand an meinen Käfig kam, in der Hoffnung, das seist du, du habest deine Meinung geändert, all dies sei nur ein schlimmer Traum gewesen … Oder ich hoffte, dass es zumindest jemand wäre, der Interesse an mir hätte und mich retten könnte. Als ich einsah, dass ich nichts zu bieten hatte im Vergleich mit dem vergnügten Um-Aufmerksamkeit-Heischen unbeschwerter Welpen, die völlig ahnungslos waren, was ihr künftiges Schicksal betraf, zog ich mich in eine einsame Ecke zurück und wartete.

Ich hörte ihre Schritte, als sie am Ende des Tages kam, um mich zu holen, und trottete hinter ihr her den Gang entlang zu einem abgelegenen Raum – ein angenehm ruhiger Raum. Sie hob mich auf den Tisch, kraulte meine Ohren und sagte mir, alles sei in Ordnung. Mein Herz pochte vor Aufregung. Was würde jetzt wohl geschehen? Aber da war auch ein Gefühl der Erleichterung. Für den Gefangenen der Liebe war die Zeit abgelaufen. Meiner Natur gemäß war ich aber eher um sie besorgt. Ihre Aufgabe lastete schwer auf ihr – das spürte ich genauso, wie ich jede deiner Stimmungen erfühlt hatte.

Behutsam legte sie den Stauschlauch an meiner Vorderpfote an, während eine Träne über ihre Wange rann. Ich leckte ihre Hand, um sie zu trösten – genauso wie ich dich vor vielen Jahren getröstet hatte. Mit geübtem Griff führte sie die Nadel in meine Vene ein. Ich konnte den Einstich spüren, und eine kühle Flüssigkeit lief durch meinen Körper. Dann wurde ich schläfrig. Ich legte mich hin, blickte in ihre gütigen Augen und flüsterte: »Wie konntest du nur?«
Vielleicht verstand sie die Hundesprache und sagte deshalb: »Es tut mir ja so leid!« Sie umarmte mich und beeilte sich, mir zu erklären, es sei ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ich bald an einem besseren Ort wäre, wo ich weder ignoriert, noch missbraucht, noch ausgesetzt werden könnte und wo ich auch nicht auf mich allein gestellt sein würde – an einem Ort der Liebe und des Lichts, vollkommen anders als mein irdischer Platz.
Mit meiner letzten Kraft versuchte ich, ihr mit einem Klopfen meines Schwanzes zu verstehen zu geben, dass mein »Wie konntest du nur?« nicht ihr gegolten hatte. Du, mein geliebtes Herrchen, warst es, an den ich dachte. Ich werde immer an dich denken und auf dich warten.
Möge dir ein jeder in deinem Leben so viel Loyalität zeigen.